FVM-Talente in Nachwuchsleistungszentren und DFB-Stützpunkten: ein Vergleich

FVM-Talente in Nachwuchsleistungszentren und DFB-Stützpunkten: ein Vergleich

In einer wissenschaftlichen Studie am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) wertete Patrick Eßer unter der Leitung von Dr. Sebastian Schwab fast 10.000 Daten von 299 Talenten der D- und C-Junioren-Altersklasse in der Saison 2021/22 aus, die in den zehn DFB-Stützpunkten (STP) im FVM-Gebiet oder den Nachwuchsleistungszentren (NLZ) des 1. FC Köln, von Bayer 04 Leverkusen oder Viktoria Köln gefördert werden.

Auslöser der Studie war der Start des DFB-Projekts Zukunft im Herbst 2020, durch das der DFB mit seinen Landesverbänden die Förderung der talentiertesten deutschen Nachwuchskicker optimieren möchte. Projektziel ist es, die bestehenden Strukturen in Vereinen und Verbänden kritisch zu hinterfragen sowie Anpassungen vorzunehmen, um den Nachwuchsspielern individuell passende Fördermöglichkeiten anzubieten.

Im FVM-Gebiet werden talentierte Nachwuchsspieler in den NLZ der drei Profivereine gefördert. Die NLZ werden regelmäßig vom DFB zertifiziert, wenn diverse Qualitätsvorgaben (z.B. Trainingsplanungen/-inhalte), Trainingsumfänge, personelle Qualifikationsvoraussetzungen der Trainer und sonstigen Mitarbeiter (u.a. Sportpädagogen/-psychologen/-physiotherapeuten) und infrastrukturelle Voraussetzungen (u.a. Trainingsplätze/-material) nachgewiesen sind. Weitere Talente der D- und C-Jugend-Altersklassen anderer FVM-Jugendvereine (STP-Vereine) werden – zusätzlich zu ihrem Vereinstraining – einmal wöchentlich in einem der zehn DFB-Stützpunkte im FVM wohnortnah in ihrer Entwicklung gefördert. In den FVM-Auswahlmannschaften erhalten die Talente mit dem größten Entwicklungspotential – unabhängig Ihrer Zugehörigkeit zu einem NLZ oder STP-Verein – eine zusätzliche Förderung, über die sich die Spieler auch für die DFB-U-Nationalmannschaften qualifizieren können.

Die inhaltlichen Unterschiede der zertifizierten NLZ-Förderung gegenüber den Entwicklungsangeboten in Amateurvereinen mit dem zusätzlichen STP-Förderangebot werden in der Studie nicht erhoben. Die DSHS-Studie hat vor allem den Fokus auf Wegezeiten bei der An- und Abreise zum Verein sowie Auswirkungen auf weitere Sportaktivitäten gelegt. Etwaige Unterschiede könnten bei Fragen, für welche Spieler zu welchem Zeitpunkt welche Förderinstanz empfehlenswert ist, eine wichtige Rolle spielen.

Die 299 FVM-Jugendspieler, davon 185 STP-Spieler (D-Jugend: 109; C-Jugend: 76) sowie 114 NLZ-Spieler (D-Jugend: 48; C-Jugend: 66) haben mithilfe der DSHS-Umfrage Rückmeldungen gegeben, die Aufschlüsse über deren zeitliche Belastung, die Quantität der fußballerischen Trainingseinheiten im Verein und STP sowie weiterer Sporteinheiten gibt. Nachfolgend werden die wichtigsten Daten der Studie präsentiert und von Dr. Sebastian Schwab erläutert.
 

Trainieren NLZ-Spieler mehr als STP-Spieler?

Bei der Auswertung der erhobenen Daten konnte ein signifikanter Unterschied in der Anzahl der durchschnittlichen Trainingseinheiten zwischen den beiden Spielergruppen ermittelt werden (grafische Aufbereitung siehe EINSZUEINS). Während STP-Spieler durchschnittlich 3,65 Einheiten in der Woche haben, absolvieren NLZ-Spieler durchschnittlich 4,09 Einheiten. Das Geburtsjahr hat in dieser Studie dabei keinen Effekt auf die Unterschiede.

Die Anzahl der Trainingseinheiten von D- und C-Junioren in NLZ unterscheidet sich insgesamt dennoch nur geringfügig von denen aus STP-Vereinen. Im Durchschnitt haben NLZ-Spieler wöchentlich 0,44 Trainingseinheiten mehr als STP-Spieler. Betrachtet man dabei die jeweiligen Jahrgänge ist der Unterschied in der D-Junioren-Altersklasse (0,28 Einheiten) etwas geringer als in der C-Junioren-Altersklasse (0,53). Der geringste Unterschied zeigt sich im U13-Jahrgang (älterer D-Junioren-Jahrgang) und nimmt zum U15-Jahrgang (älterer C-Junioren-Jahrgang) zu.

S. Schwab: „Laut unseren Studienergebnissen im FVM-Verbandsgebiet absolvieren NLZ-Spieler durchschnittlich eine halbe Trainingseinheit pro Woche mehr im Vergleich zu den von STP-Spielern besuchten Einheiten in den Amateurvereinen und den DFB-Stützpunkten. Somit trainieren STP-Spieler ca. 11 % weniger im Vergleich zu NLZ-Spielern in einer gewöhnlichen Trainingswoche.“

 

Wie umfangreich sind außerfußballerische Sportaktivitäten der Spieler?

STP-Spieler nehmen signifikant an mehr sportlichen Aktivitäten außerhalb des Fußballtrainings unabhängig der vier Jahrgänge im Vergleich zu den NLZ-Spielern teil (grafische Aufbereitung siehe EINSZUEINS).  Über das Fußballtraining hinaus betätigen sich Stützpunktspieler zu 143 Minuten und NLZ-Spieler zu 101 Minuten neben dem Fußballtraining noch sportlich.

Des Weiteren konnte ermittelt werden, dass 11,4 % der befragten STP-Spieler gegenüber 4,4 % der befragten NLZ-Spieler eine weitere Vereinssportart ausüben. Bei einer genaueren Betrachtung lässt sich feststellen, dass die jüngeren drei Jahrgangsstufen der STP-Spieler wöchentlich im Durchschnitt zwischen 140 und 160 Minuten weitere Sportaktivitäten betreiben, wohingegen es bei den NLZ-Spielern 70 bis 130 Minuten sind. Im U15-Jahrgang verringern sich zusätzliche Sportaktivitäten der STP-Spieler auf 120 Minuten, während die NLZ-Spieler 140 Minuten an außerfußballerischen Umfängen angeben.

Sebastian Schwab: „Bei den außerschulischen und –fußballerischen Sportaktivitäten kehrt sich das Bild um: STP-Spieler verbringen deutlich mehr Zeit bei sportlichen Aktivitäten außerhalb des Fußballs im Vergleich zu den NLZ-Spielern. Diese absolvieren ca. 29 % weniger dieser Sportaktivitäten.

In der Abbildung (grafische Aufbereitung siehe EINSZUEINS) der außerschulischen und –fußballerischen Sportaktivitäten gibt es im Jahrgang 2007 eine kleine „Trendwende“. Diese könnte im beginnenden Kraft- und Fitnesstraining der NLZ-Spieler begründet liegen, das dann neben dem regulären Fußball-Training zusätzlich durchgeführt und als zusätzliche außerfußballerische Einheit von den NLZ-Spielern wahrgenommen wird.“

 

Unterscheiden sich die Anfahrten von NLZ-Spielern zum Trainingsgelände von denen eines STP-Spielers?

NLZ-Spieler wohnen im Mittel 25,6 km von der Vereinsspielstätte entfernt, während der Anfahrtsweg eines STP-Spielers ungefähr 15,1 km beträgt. An der Abbildung (grafische Aufbereitung siehe EINSZUEINS) lässt sich gut erkennen, dass die Entfernung zum Verein mit höherem Alter stetig zunimmt.

Die durchschnittliche Entfernung steigt von der D-Junioren-Altersklasse (STP: 13,85 km / NLZ: 21,83 km) zur C-Jugend (STP: 24,81 km / NLZ: 28,33 km) bei beiden Vergleichsgruppen stetig an. 29 von 114 NLZ-Spielern (ca. 25 %) sowie 83 von 175 STP-Spielern (ca. 47 %) geben eine einfache Weg-Strecke zum Verein mit unter zehn Kilometern an.

Lediglich 11,5 % der NLZ-Spieler gehen zu Fuß, nutzen einen Tretroller oder ein Fahrrad zum Training, während immerhin jeder dritte STP-Spieler (34,6 %) eine dieser drei Arten der Fortbewegung präferiert.

Mit Zunahme der Entfernung geht auch eine Zunahme der An- und Abreisezeiten einher. In Bezug auf die Anfahrt zum Trainingsgelände konnte ein signifikanter Interaktionseffekt sowie zwei Haupteffekte sowohl zwischen den beiden Spielergruppen als auch den Geburtsjahren aufgezeigt werden (grafische Aufbereitung siehe EINSZUEINS). Der STP-Spieler braucht durchschnittlich für den Hin- und Rückweg zur Vereinsspielstätte ca. 36 Minuten und der NLZ-Spieler im Gegensatz dazu durchschnittlich 55 Minuten.

Dabei geben die U15-Junioren jeweils die längsten Reisezeiten (STP: 48 Minuten / NLZ: 65 Minuten) an. Im Mittel beträgt dieser wöchentliche Mehraufwand der NLZ-Spieler etwa eine Stunde und 20 Minuten. Zwei Nachwuchstalente aus NLZ benötigen für die An- und Abreise zu den Trainingseinheiten mit 180 Minuten sogar doppelt so viel Zeit im Vergleich zu der eigentlichen Trainingseinheit (90 Minuten).

Sebastian Schwab: „Die vermeintlich qualitativ hochwertigere NLZ-Ausbildung mit einem geringfügig größeren Umfang bedeutet in Einzelfällen für die 11- bis 14-Jährigen mitunter dreistündige Fahrzeiten für 90-minütige Trainingseinheiten. Die Verantwortung dafür liegt bei den Eltern und Vereinen. Sie müssen abwägen, was in diesem speziellen Fall das Beste für das Kind bzw. für den Spieler ist.“

 

Fazit von Dr. Sebastian Schwab

„Bei Nichtberücksichtigung sonstiger (u.a. qualitativer) Unterschiede zwischen NLZ und STP-Mannschaften ist folgendes festzustellen: Während der DFB 2020 davon ausging, dass STP-Spieler inklusive der STP-Einheit insgesamt auf drei Trainingseinheiten pro Woche und damit auf ca. 75 % des Trainingsumfangs vergleichbarer NLZ-Spieler kommen, ist dies für die Talente im FVM nicht festzustellen. Die STP-Spieler trainieren mit durchschnittlich 3,65 Einheiten annähernd so umfangreich wie NLZ-Spieler (4,09 Einheiten). Eine Addition der Einheiten im organisierten Fußball sowie dem außerschulischen und außerfußballerischen Zusatzsport zeigt quantitativ sogar keine Unterschiede mehr zwischen STP- und NLZ-Spielern.

Sofern für die Talententwicklung neben den spezifischen Trainingseinheiten auch sonstige Sporteinheiten als wertvoll eingeschätzt werden, sind in Bezug auf den Umfang somit keine Unterschiede der beiden Talentwege wahrnehmbar. Für eine allgemeine Motorik-Entwicklung ist es sogar durchaus förderlich, in diesen Altersbereichen nicht nur Fußball zu spielen, sondern mit Freunden weitere Sportarten frei auszuprobieren („deliberate play“) oder sich in einem anderen Sportverein aktiv zu engagieren.

Gerade vor diesem Hintergrund, allgemeine Bewegungstalente in der Sportart Fußball zu scouten, um sie dann zu fördern, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten für die Entwicklung von Nachwuchsspielern von Vorteil sind. Macht es Sinn, vor allem in den jüngeren Jahrgängen häufiger bzw. regelmäßig auf eine spezifische Fußball-Einheit zu verzichten und diese dann durch eine sportartübergreifende Einheit zu ersetzen?

Die höhere zeitliche Trainingsbelastung sowie der weitere Fahrweg von NLZ-Spielern zum Training und zu Spielen im Vergleich zu den STP-Spielern haben mit Sicherheit einen immensen Einfluss auf das allgemeine Freizeitverhalten der Kinder. Für NLZ-Spieler, die neben Schule und Training noch längere Fahrzeiten in Kauf nehmen, ist es dadurch oftmals zeitlich gar nicht mehr möglich, Freunde zu treffen und frei zu spielen.

Es gilt zukünftig vermehrt genau zu prüfen, ob ein Wechsel in ein entferntes NLZ der fußballerischen Entwicklung im heimischen Vereinsumfeld vorzuziehen ist. Alternativen mit wöchentlichen Trainingsangeboten durch hochqualifizierte NLZ-Trainer im Heimatverein der Talente könnten ein angemessener Kompromiss sein, um als NLZ die verantwortungsbewusste Entwicklung von Nachwuchstalenten zu unterstützen und im Blick zu behalten.

Von allgemeinen Empfehlungen ist hier zwingend Abstand zu nehmen, da die individuellen Rahmenbedingungen eines jeden Kindes bzw. Spielers (Wohnort, Infrastruktur, Anreiseform) Beachtung finden müssen. Es müssen individuelle Lösungen von Fall zu Fall gefunden werden, wobei immer der Konsens gelten muss, zum Wohle des Kindes zu entschieden. Genau hier setzt das DFB-Projekt Zukunft an, das sehr bewusst den Jugendspieler in den Mittelpunkt setzt.“

 

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