Interview mit Christos Katzidis: „Anerkennung und Respekt müssen im Vordergrund stehen

Seit Juni führt Christos Katzidis den Fußball-Verband Mittelrhein als Präsident. Der 52-jährige Bonner ist von der integrativen Kraft des Fußballs überzeugt. Er will die Vereine stärken und das gesellschaftliche Engagement der vielen Ehrenamtler*innen unterstützen. Im Interview gibt er einen Einblick in seine ersten Wochen und blickt voraus auf die kommende Wahlperiode.

 

Interview mit Christos Katzidis: „Anerkennung und Respekt müssen im Vordergrund stehen

Herr Katzidis, Sie kennen den Fußball aus vielen Blickwinkeln. Sie haben unter anderem beim 1. FC Hardtberg und Bonner SC gespielt, den TuS Pützchen trainiert, als Bonner Ratsherr im städtischen Sportausschuss gesessen und inzwischen sind Sie auch seit 2017 als Landtagsabgeordneter im Sportausschuss des Landtages. Welche Eindrücke und Erkenntnisse sind in Ihren ersten Wochen als Präsident des Fußball-Verbandes Mittelrhein noch hinzugekommen?

Vieles kenne ich aus meiner bisherigen Laufbahn in Sport und Politik. Etwa das Zusammenspiel von ehrenamtlich engagierten und hauptamtlich tätigen Menschen. Aber ich erlebe dies nun aus einer neuen Perspektive. Diese ist ganz anders als die des aktiven Spielers, Trainers oder auch Politikers. Wobei der Präsident gewissermaßen ein politisches Amt ausübt. Es geht schließlich darum, Interessen von Mitgliedern und Vereinen zu vertreten. Und es geht darum, die Vereine zu stärken, ihre Anliegen geltend zu machen. Das ist nichts Neues für mich, nur ein anderer Bereich. Schon jetzt kann ich dabei sagen, dass ich im Verband und in den Vereinen auf hochmotivierte Menschen getroffen bin. Es macht sehr großen Spaß und ich freue mich nach den ersten Wochen und Monaten noch mehr auf die kommenden Jahre als es ohnehin schon zum Zeitpunkt meiner Wahl der Fall war.
 

Die Fußballerinnen der deutschen Nationalmannschaft sorgten zuletzt mit tollen Auftritten bei der EM in England für Beachtung und Begeisterung und in knapp zwei Jahren findet die EURO der Männer in Deutschland statt. Gespielt wird dann auch in Köln, der größten Stadt im Verbandsgebiet. Wieviel Rückenwind versprechen Sie sich für den Amateurfußball?

Es ist tatsächlich ein günstiger Zeitpunkt. Die EM der Frauen war ein tolles Event, mit einem tollen Auftreten und einem tollem Ergebnis des DFB-Teams. Dem Frauenfußball verschafft das Ereignis Rückenwind. Ich würde mir wünschen, dass auch die Frauen-Bundesliga profitiert, also zukünftig mehr Menschen in die Stadien strömen, die Vereine finanziell besser dastehen und das Fernsehen die Berichterstattung intensiviert. Es geht um bessere Rahmenbedingungen, die wir auf allen Ebenen einfordern müssen.
 

Was tut der FVM, um für gleiche Bedingungen und Wertschätzung für das Engagement von Frauen und Männern auf und neben dem Platz zu sorgen?

Die Förderung des Frauenfußballs ist ein Schwerpunktthema. Es ist unser Bestreben, für Verbesserungen an der Basis zu sorgen, die Vereine bei ihren Vorhaben zu unterstützen, zu beraten und ihnen als Servicedienststelle zur Seite zu stehen. Mit Ford haben wir einen prominenten Premium-Partner gewinnen können, der den Frauenfußball unterstützt, so ähnlich wie Bitburger dies bei den Männern tut. Mit Ford an unserer Seite unterstützen und finanzieren wir künftig Projekte zur Förderung von Frauen im Fußball. Ford hat als Unternehmen viel Erfahrung bei der Förderung von Frauen. Wir haben unsererseits mit dem Leadership-Programm und der Social-Media-Kampagne #leidenschaftzählt schon einiges bewegt. Letztlich geht es um mehr Sichtbarkeit und Wahrnehmung für Frauen. In der Vereinsarbeit gibt es noch große Unterschiede. Manche sind schon sehr weit, in anderen Klubs gibt es dagegen noch großes Potenzial. Ich denke da zum Beispiel an gemischte Nachwuchsmannschaften, die sehr unterschiedlich gesehen werden. Die neuen Kinderspielformen zeigen aber, wie viel Jungen und Mädchen im gemeinsamen Spiel voneinander lernen können.
 

Welche Weichen müssen gestellt werden, um den von der Heim-EURO erhofften Boom insbesondere im Nachwuchsbereich zu nutzen?

Die EURO 2024 ist eine ganz große Chance für den Fußball insgesamt, denn die Erfahrung zeigt, dass gerade nach großen Turnieren Kinder und Jugendliche in die Vereine strömen. Entscheidend ist, dass es dann entsprechende Angebote vor Ort gibt und unsere Vereine gut aufgestellt sind in Sachen Infrastruktur, aber auch im Hinblick auf qualifizierte Trainerinnen und Trainer. Die Arbeit an der Basis ist ganz wichtig. Denn Kinder und Jugendliche sind die Zukunft der Vereine und des Breitensports. Weitere Aspekte sind die Umsetzung der Kindertrainerzertifizierungen und die Einführung der neuen Kinderspielformen, von denen ich absolut überzeugt bin. Im Kern geht es dabei darum, den Vorlieben der Kids Rechnung zu tragen. Den Mädchen und Jungs geht es an erster Stelle nicht um Taktik, Training und die Sichtbarkeit einer Handschrift ihres Trainers. Sie wollen „kicken” und dem Ball hinterherjagen. Sie wollen viele Ballkontakte und Torabschlüsse haben. Erlebnis statt Ergebnis, dieser Spaß am Sport ist der Schlüssel, um den Nachwuchs langfristig für das Fußballspielen im Verein zu begeistern.
 

Sie haben anlässlich Ihrer Wahl ins Präsidenten-Amt einen offenen, direkten und kooperativen Umgang und eine Basisorientierung angekündigt. Wie möchten Sie diese Ambition mit Leben füllen?

Ich habe drei Punkte im Blick. Erstens sind wir im Begriff, die während der Pandemie ausgesetzten Vereinsdialoge wieder aufzunehmen. Zweitens will ich regelmäßig Kreise und Vereine besuchen, um vor Ort Gespräche zu führen. Und drittens werde ich weiterhin in Fortbildungen Präsenz zeigen und den Austausch suchen. Das habe ich bereits bei einer Trainerfortbildung getan und dabei tolle Erfahrungen gesammelt. Im Gespräch Face-to-Face kann man Dinge unmittelbar erklären, die sonst nicht ankommen, und auch direkte Rückmeldungen erhalten.
 

Manche ehrenamtlich Tätigen klagen über enorme Belastung, Schiedsrichter*innen über fehlenden Respekt. Wie kann der FVM den vielen engagierten Kräften und den Vereinen unter die Arme greifen?

Wir dürfen an erster Stelle eins nicht vergessen: Fußball ist die schönste Nebensache der Welt! Das sollten wir immer wieder deutlich machen. Wir brauchen also eine positive Stimmung, um weitere Menschen für das Ehrenamt zu begeistern. Unsere Aufgabe als Präsidium ist es, für Entlastung und entsprechende Unterstützung zu sorgen. Ich glaube, wir können auf mehreren Wegen helfen: Zum einen vertreten wir die Interessen unserer Kreise und Vereine. Und zum anderen beraten und unterstützen wir die Vereine. Ein zentrales Anliegen ist dabei auch die Vereinsberatung vor Ort. Großen Bedarf sehe ich im Management der politischen Lobbyarbeit. Hier kann ich meine persönliche Erfahrung einbringen. Vereine müssen in den Kommunen Ansprechpersonen erhalten, um ihre Anliegen gebündelt kommunizieren zu können. In Köln ist es uns gelungen, im Zuge der EURO 2024 gemeinsam mit der Stadt Köln eine Projektstelle mit einem Koordinator Amateurfußball zu etablieren. Das Thema Gewalt gegen Schiedsrichter ist ein anderes. Wo es negative Vorfälle oder schlechtes Benehmen gibt, müssen wir uns klar und unmissverständlich positionieren. Gewalt hat auf dem Fußballplatz nichts zu suchen, das müssen wir immer und immer wieder klar machen. Jeder Fall ist einer zu viel. Wir müssen die Diskussion hierüber aber auch sachlich führen. Mehr als 99 Prozent aller Spiele im FVM verlaufen ohne Gewalt oder andere Vorfälle.

Hier finden Sie den FVM-Standpunkt gegen Gewalt, Diskriminierung und Extremismus im Fußballsport.
 

Der Fußball wird gerne als Kitt der Gesellschaft bezeichnet. Inwieweit kann und soll der Sport die soziale Integration tragen?

Diese Integration wird im Alltag der Vereine längst gelebt. Insbesondere beim Fußball als populärstem Vereinssport. Viele Vereine sind insgesamt unglaublich sozial unterwegs. Sie kümmern sich mit bewundernswertem Elan beispielsweise um geflüchtete Menschen oder um Flutopfer. Ich würde mir wünschen, dass wir am Mittelrhein mittelfristig eine Sozialstiftung schaffen, um zusätzliche Spenden und Gelder zu generieren, damit diese Projekte noch intensiver unterstützt werden können. Das Thema soziales Engagement ist mir besonders wichtig. Ich habe es sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Meine Mutter hat über viele Jahre die Arbeit in Frauenhäusern unterstützt. Seit meiner Jugend engagiere ich mich selbst. Ich besuche Seniorennachmittage, Kinderfeste und seit März wohnen zwei Ukrainerinnen bei uns zu Hause, die gerade eine Wohnung suchen. Mir ist es daher ein besonderes Anliegen, soziales Denken und Handeln zu verstärken, gesellschaftspolitische Themen anzupacken und Diversität zu fördern.
 

Was muss geschehen, damit Sie in einem Jahr voller Überzeugung von einem erfolgreichen Start als FVM-Präsident sprechen?

Wichtig ist es mir, für eine Entlastung unserer ehrenamtlich Tätigen und hauptamtlich Beschäftigten zu sorgen und personellen Nachwuchs zu gewinnen. Es braucht zudem eine schnelle Bestandsanalyse, was offen ist, und für jeden Fachbereich ein strategisches Ziel für die neue Wahlperiode. Ich möchte in einem Jahr sagen können, dass wir bei den Vereinsdialogen und Besuchen vor Ort im Fluss sind, uns zur Stärkung des Ehrenamtes und der Vereinsarbeit klar positioniert und die Vereinsberatung ergänzt haben. Und ich will vermitteln, dass das Ehrenamt keine Belastung sein darf. Niemand muss rund um die Uhr „da“ sein. Engagement soll Freude machen und Spaß vermitteln, darf aber kein Fulltime-Job sein. In allem, was ich tue, will ich nichts über‘s Knie brechen. Alle müssen sich mitgenommen fühlen. Anerkennung und Respekt müssen im Vordergrund stehen.
 

Wie groß ist Ihre Sorge vor einer erneuten Zuspitzung der Pandemie und den Folgen der Energiekrise?

Eines muss klar sein: Es darf keinen Rückschritt in den Lockdown geben. Das wäre fatal. Und für solch einen Schritt hätte meines Erachtens auch kaum noch jemand Verständnis. Ich habe die klare Erwartung, dass bei künftigen Maßnahmen Outdoor-Sportarten anders betrachtet werden. Auch einen Energie-Lockdown für Klubs darf es nicht geben. Es muss immer warmes Wasser für die Duschen und Strom für Flutlichtmasten geben. Um Energie zu sparen, sind Investitionen nötig. Die Kommunen müssen ihre Hausaufgaben machen und dringend nötige Sanierungen vornehmen. Das darf nicht zu Lasten der Vereine gehen. Unsere Vereine haben in einigen Bereichen selber schon Maßnahmen zur Energiereduzierung umgesetzt. Außerdem besteht eine hohe Bereitschaft unserer Vereine noch mehr zu tun, das hat die aktuelle Umfrage mit unserem Amateurfußball-Barometer sehr eindrucksvoll gezeigt.

Die FVM-Unterseite zum Energiesparen finden Sie hier.

 

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