Kreis Aachen

Mit Autorität und ohne aufzufallen auf dem Platz

Die auffälligste Szene in diesem Spiel hat Paul Schwering, da ist noch etwa eine halbe Stunde zu spielen, Vaalserquartier hatte den Ball geklärt, es gibt jetzt Ecke für Wenau. Der Ball wird flach hereingespielt, besonders schnell ist er nicht, Schwering hat ihn aber nicht gesehen. Der Ball trifft Schwering, er wird angeschossen. Danach verstolpert er den Ball ein bisschen. Sieht nicht glücklich aus. So insgesamt.

Mit Autorität und ohne aufzufallen auf dem Platz

Vor und nach dieser Szene fällt Schwering nicht weiter auf. Gute Leistung. Weil Schwering nicht für Wenau spielt und nicht für Vaalserquartier. Schwering, 20, leitet diese Partie. Er ist der Schiedsrichter. Und auffällige Szenen hat er sehr, sehr selten.

In den Fußballkreisen Aachen, Düren und Heinsberg werden insgesamt 544 Schiedsrichter eingesetzt, sie pfeifen Begegnungen von der Kreisliga D bis zur Dritten Liga, von der D-Junioren-Kreisliga bis zur A-Junioren-Bundesliga, sie pfeifen Partien in den Pokalen und in der Relegation, sie pfeifen Vorbereitungs- und Freundschaftsspiele. Und bei den Schiedsrichtern ist es nicht anders als bei den Spielern: Es gibt gute und schlechte, junge und alte, ambitionierte und weniger ambitionierte.

Man kann sagen, dass es für jede Mannschaft eine gute Nachricht ist, wenn Schwering eingesetzt wird, um ihr Spiel zu pfeifen. Im Schiedsrichterausschuss des Fußballkreises Aachen sehen sie ihn als Nachwuchstalent, auf das zu hoffen lohnt. Ein Schiedsrichter muss im Jahr 25 Spiele leiten, um weiter pfeifen zu dürfen, das ist die Mindestzahl. Schwering kam im vergangenen Jahr auf rund 100 Spiele, im nächsten darf er erstmals Partien in der Bezirksliga leiten, er ist aufgestiegen. Schwering ist Mitglied im sogenannten Kreisförderkader, und er würde gerne Mitglied sein im Perspektivkader des Verbands. Er sagt: „Mein realistisches Ziel ist die Mittelrheinliga, mit ein bisschen Träumerei ist es die Regionalliga.“ Das ist die Zukunft.

Die Gegenwart sind Wenaus B-Junioren gegen die von Vaalserquartier. Die Anlage ist schön, neben dem Kunstrasenplatz gibt es ein Vereinsheim, das „Steilpass“ heißt . Es gibt Kölsch, einen Flachbildfernseher und über all dem den Duft von Frittiertem; es gibt eine Menge, mit dem sich die Menschen von diesem Spiel ablenken können, aber etwa eine halbe Stunde vor Abpfiff schauen sie alle zum Schiedsrichter.

Schwering hat gepfiffen, er benutzt die Pfeife so, als ob sie Missverständnisse von vornherein vermeiden soll. Die Pfiffe sind laut und kraftvoll, man kann sie bestimmt auch im „Steilpass“ hören, bei geschlossener Tür. Schwerings Pfiffe lassen keine Zweifel daran, wer auf dem Platz den Ton angibt, aber nach der Ecke, bei der es Wenaus Nummer acht gelang, den Schiedsrichter anzuschießen, stellt er es vorsichtshalber klar.

Nummer acht geht nach der Ecke langsam Richtung Mittelfeld, „Danke!“ ruft er dem Schiedsrichter zu, der gerade seinen Standard verwertet hat. Ironie. Schwering pfeift, dann ruft er: „Du kommst jetzt mal zu mir.“ Nummer acht kommt, sieht Gelb und hört vom Schiedsrichter: „Dein Problem, wenn du es nicht schaffst, an mir vorbeizuspielen.“

Nach dem Spiel wird Schwering über diese Szene sagen, dass es natürlich immer passieren kann, dass der Schiedsrichter angeschossen wird. Aber das es nie passieren soll. Er sagt auch: „Nachdem es passiert war, dachte ich schon: So ein Mist.“

Auf dem Platz lässt er sich das nicht anmerken, was viel damit zu tun hat, dass Schwering als wichtigste Eigenschaft eines Schiedsrichter die Autorität nennt, die er ausstrahlen soll. Ist das der Maßstab, überrascht nicht, dass viele Schwering für einen guten Schiedsrichter halten.

Schwering ist nicht viel älter als die Spieler, mit denen er in Wenau auf dem Platz steht, viel größer ist er auch nicht. Probleme, sich durchzusetzen, hat er keine. Seine Gesten sind typische Schiedsrichter-Gesten: der ausgestreckte Arm für die Richtung beim Einwurf, die übereinander rollenden Arme für eine Auswechslung. Schwering zelebriert sie auffallend langsam. Er macht das nicht immer so, sondern abhängig vom Spiel.

Über Wenau gegen Vaalserquartier sagt Schwering nachdem er es abgepfiffen hat, dass es ein Spiel gewesen sei, bei dem wenig Hitze von außen hereingetragen worden ist. Und weil es auch deswegen auf dem Platz insgesamt eher ruhig zugegangen sei, habe er seine Gesten langsam eingesetzt, um nicht derjenige zu sein, der Hektik hineinbringt. Schwering nennt Wenau gegen Vaalserquartier ein „klassisches Achtvierer-Spiel“. Heißt: Für den Schiedsrichter gab es nicht viel zu gewinnen.

Genau wie für die Mannschaften geht es auch für Schiedsrichter in einem Spiel um Punkte, wobei der Unparteiische mit 8,4 Punkten in die Begegnung startet, es ist der Standard-Wert. Je nach Spielverlauf bieten sich einem Schiedsrichter mehr oder weniger Gelegenheiten, sich auszuzeichnen. Ein hitziges Spiel souverän zu leiten, treibt den Punktewert nach oben, vergeben werden die Beurteilungen von erfahrenen Schiedsrichtern, die die Begegnungen beobachten. So lässt sich auch aus den Namen der Schiedsrichter in den jeweiligen Ligen eine Tabelle bilden, der mit den meisten Punkten steht ganz oben. Was nicht bedeutet, dass er automatisch aufsteigt. Schiedsrichter, die in der Tabelle oben stehen, qualifizieren sich für eine genauere Beobachtung durch den Kreisschiedsrichterausschuss, der bei seiner Entscheidung, wer aufsteigt, mit einbezieht, wie viele Spiele ein Kandidat geleitet, wie viele Fortbildungen er absolviert hat.

Schwerings großer Vorteil ist, dass er Spiele leitet, seit er mit 14 damit angefangen hat. Vier Tage dauerte die Ausbildung. Formal. In Wahrheit geht sie bei jedem Anpfiff weiter. Ein Schiedsrichter wird dadurch besser, dass er aus einer großen Menge von erlebten Situationen und Erfahrungen Souveränität generiert. Am Ende geht es darum, ein Spiel lesen zu können. Vielleicht ist das das Wichtigste. 

Bei Wenau gegen Vaalserquartier zieht der Kapitän der Gäste in der Anfangsphase die Aufmerksamkeit durch mehrere Fouls auf sich. „Der bekam eine klare Ansage. Dann war es okay“, sagt Schwering, der mit diesem Typ Spieler gut zurechtkommt, weil der ihn verstehe, ohne großartig mit ihm zu sprechen. Auf der anderen Seite gebe es Fußballer, die den Schiedsrichter zutexten. Schwering sagt: „Auch die brauchen eine klare Ansage.“ Ganz verkehrt scheint die nie zu sein.

Schwering ist in Roetgen aufgewachsen, er studiert an der RWTH Aachen Mathematik, und wie es das Klischee will, ist er ursprünglich mal als Fußballer auf den Platz gekommen. Als Fußballer, dessen Talent für die Ligen, in denen er jetzt als Schiedsrichter unterwegs ist, niemals ausgereicht hätte. Er weiß gar nicht mehr, warum er dann die Schiedsrichter-Ausbildung gemacht hat, es war wohl einfach Neugierde. Was er aber sicher weiß, ist, dass er bis heute gerne Schiedsrichter ist, obwohl er da eine Menge machen kann, aber selten etwas richtig. Das ist die eine Seite. Schwering sagt: „Die Hälfte der Sprüche hört man nach einer Zeit nicht mehr.“

Auf der anderen Seite erfahre man aber als Schiedsrichter gerade von Seiten der Spieler eine Menge Akzeptanz, sagt Schwering: „Es gab Spieler, die kamen nach dem Spiel in meine Kabine, um sich bei mir zu bedanken.“ Weil sie gemerkt hatten, dass da jemand im Einsatz ist, von dem das Spiel profitiert. Einer, der sich zweimal die Woche ins Auto setzt, um es vor irgendeinem Fußballplatz abzustellen. „Immer in Fluchtrichtung“, sagt Schwering. Dann lacht er laut. Den Witz macht er vor jedem Spiel. Ein Wiederholungstäter. Schwerings Kollegen haben es bislang bei einer Verwarnung belassen.

 

Schiedsrichtermangel trifft die Fußballkreise Aachen, Düren, Heinsberg gleichermaßen

Der Mangel an Schiedsrichtern ist eine Entwicklung, die die Fußballkreise Aachen, Düren und Heinsberg gleichermaßen betrifft. „Vor allem im Bereich Jungschiedsrichter haben wir kaum Zuwachs“, sagt Richard Geyer, der im Fußballkreis Aachen Jungschiedsrichter-Beauftragter ist.

Obwohl im Fußballkreis Düren zweimal jährlich Anwärterlehrgänge angeboten werden, ist die Zahl der aktiven Schiedsrichter dort innerhalb der vergangenen Jahre von 190 auf 160 gesunken, im Fußballkreis Heinsberg wurde der jüngste Anwärterlehrgang für Schiedsrichter abgesagt, weil es zu wenige Anmeldungen gab.

Die theoretische Ausbildung zum Schiedsrichter ist kostenlos und dauert vier Tage oder ein Wochenende.  Im Anschluss muss eine Prüfung bestanden werden. Wer Schiedsrichter werden möchte, muss mindestens 14 Jahre alt sein und einem Sportverein angehören. „Eine gewisse Fitness sollte natürlich auch vorhanden sein“, sagt Bernd Jungherz, Vorsitzender des Schiedsrichterausschusses im Fußballkreis Düren.

Gründe Schiedsrichter zu werden, gibt es sicher viele, und David Koj, der für die Öffentlichkeitsarbeit des Schiedsrichterausschusses im Fußballkreis Heinsberg zuständig ist, zählt folgende auf: „Entwicklung von Persönlichkeit und Selbstbewusstsein, sportliche Betätigung, Spesen, kostenlose Besuche in Stadien deutschlandweit.“ Zudem sei die Perspektive für junge Schiedsrichter aktuell sehr gut, wirbt Geyer. Er sagt: „Die Gelegenheit, hohe Ziele zu erreichen, ist so groß wie nie zuvor."


 

Vielen Dank an die Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten, die dem Fußballkreis Aachen diesen Artikel inkl. Foto zur Verfügung gestellt haben.

Foto: Günther Król (Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten)
Text: Christoph Classen (Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten)

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